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Neuanfang
04. März 2025
Neuanfang
«Ich denke einfach umgekehrt.» Fred guckte ungläubig. «Wie bitte?» «Ich denke umgekehrt», wiederholte Anna. «Das versteh ich nicht», sagte Fred. «Du meinst, du denkst verkehrt? Das ist ja nichts Neues.» Er freute sich über den kleinen Scherz. Oder hatte Anna etwa gerade einen Satz aus einem dieser philosophischen Texte zitiert, die sie für die Uni lesen muss? «Welcher gescheite Mensch hat das geschrieben?» wollte Fred wissen. «Etwa Derrida, Wittgenstein oder Benjamin?» «Oh du hast dir einige Namen gemerkt!» Anna staunte. «Na ja, ich gehöre ja praktisch zu dem Kreis dazu», prahlte Fred. Anna räusperte sich und wiederholte zum dritten Mal: «Ich denke umgekehrt. Und dieser Satz ist von mir. Um es genau zu sagen - es ist mein Vorsatz für das neue Jahr.» «Olala, jetzt wird es spannend. Ich dachte, du hältst nichts von Vorsätzen.» Fred schaute Anna fragend an. «Ich habe meine Meinung geändert – eben um-gekehrt. Ich versuche alle Nachrichten von der konträren Seite her zu betrachten. Ich wechsle die Perspektive.» Schweigen. Dann endlich sagte Fred: «Das musst du mir genauer erklären.» «Es ist eigentlich ganz einfach», antwortete Anna. «Wenn ich eine Nachricht auf dem Handy erhalte, denke ich nicht: Shit, wer will denn jetzt schon wieder etwas von mir, sondern, oh wie schön, jemand denkt an mich.» Fred runzelte die Stirn und nickte. «Oder wenn die Medien von unzähligen Opfern nach der Todesfahrt auf dem Weihnachtsmarkt berichten, denke ich: viele Menschen haben zum Glück überlebt oder waren nicht an diesem unglücklichen Ort.» «Das ist doch kein Trost!» ruft Fred empört. «Nein, aber damit kann ich besser leben. Und wenn ich besser leben kann, hat meine Umgebung auch etwas davon. Du auch. Eine Frau mit einer positiven Ausstrahlung, hat Freude hat am Leben. Das sollte dir doch gefallen.» Schweigen. Dann sagte Fred: «Also gut, wir machen ein Gedankenexperiment: Du spielst falsche Töne auf dem Klavier. Bis anhin hast du gesagt, du seist eben keine Solistin, nur eine gute Lehrerin. Ist das nicht mehr so?» «Aber doch! Nur sage ich jetzt: ich bin eine gute Lehrerin! Ich muss doch keine Solistin sein. Das klingt ganz andres und gibt mir ein positives Gefühl.» «Aber die Tatsache ist dieselbe», stellte Fred fest. «Ja, aber die Ansprüche an mich verändern sich. Sie sind nicht mehr so hoch. Das macht mich glücklich. Sonst bin ich unglücklich. So einfach ist das.»
«Glücklich – unglücklich, schwarz - weiss. Sehr einfach!» Fred wurde ernst. «Das Leben ist aber nicht schwarz - weiss! Es ist doch voll von Grautönen. Ich würde sagen mindestens 90% grau und nur 10% schwarz - weiss.» «Das ist mir auch klar», sagte Anna. «Aber ich schaue nicht mehr auf diese graue Menge und schon gar nicht auf den schwarzen Grund, sondern bemühe mich, die weisse Spitze zu sehen. Eben andres als früher. Um-gekehrt!» Fred räusperte sich. Dann sagte er: «In Deutschland gibt es eine Partei, die verkehrt gerade die Fakten. Man nennt das Resignifikation.» «Das ist doch nicht dasselbe!!»Anna war empört. «Ich fokussiere anders. Ich verdrehe nicht die Tatsachen! - Es ist ein Versuch wert! Ein Neuanfang im 2025. Es braucht ein bisschen Übung, aber ich glaube, es lohnt sich.» Sie lächelte. «Ich bin beeindruckt, ich werde mich auch umkehren», sagte Fed.
©P-Dur
27.2.2025