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Wo ist Geppetto?

12. Dezember 2020

Pinocchio hockte in einer Ecke der kleinen Küche und weinte bitterlich. Geppetto war von der Polizei abgeführt worden und Pinocchio war schuld daran. Jetzt war er ganz allein. Plötzlich war ein leises Kri-kri-kri zu hören. Pinocchio schnäuzte sich in den Ärmel seiner Jacke und blickte unsicher umher. Kri-kri-kri! Da war es schon wieder. «Ist da jemand», fragte Pinocchio. «Ich bin die sprechende Grille. Ich wohne schon über hundert Jahre hier.» «Blödsinn», sagte Pinocchio. «Hier wohne ich mit meinem Papa.» «Wo ist denn dein Papa», wollte die Grille wissen. «Er ist auf den Markt gegangen», antwortete Pinocchio. «Du lügst,» rief die Grille. «Ich sehe es an deiner Nase.» Da wurde Pinocchio sehr wütend. Er nahm den Hammer von Geppetto’s Werkbank und warf ihn nach der Grille. Sie war sofort tot. Wieder begann Pinocchio zu heulen. Was hatte er doch für ein Pech. Er hockte sich in die Ecke und schlief ein.

 

Als Pinocchio aufwachte wusste er nicht, wo er sich befand. Diese Küche kannte er nicht. Schränke, die weiss glänzten, seltsame Geräte, die umherstanden, Geschirr, fein wie das Teeservice der englischen Königin! Pinocchio stand zögernd auf und näherte sich dem Tisch. Darauf stand eine Tasche mit Riemen. Er öffnete sie und fand ein Lesebuch und eine Schachtel mit Buntstiften. Neben der Tasche lag ein kleines, rechteckiges Gerät. Plötzlich fing das Gerät an zu surren. Pinocchio erschrak! Eine riesiger Käfer, schoß es ihm durch den Kopf. Aber so flach? Das Surren hörte auf, dafür gab der Käfer zwei hohe Töne von sich. Pinocchio nahm den Käfer vorsichtig in die Hand. Der Käfer ließ es geschehen. Jetzt lächelte er sogar. «Wer bist du», fragte Pinocchio. «Ich bin Siri.» «Und was willst du?» «Geh zur Schule», sagte Siri. «Wieso?» «Weil Geppetto es wünscht.» «Wo ist mein Papa?» «Du wirst ihn bald wiedersehen. Aber zuerst musst du zur Schule gehen.» 

 

Als Pinocchio auf die Strasse trat, glaubte er zu träumen. Die Häuser waren hoch wie Türme, die Straßen breit wie Flüsse. Viele Menschen liefen eilig umher. Auf Straße bewegte sich eine lange grüne Schlange. Auch viele Kisten fuhren umher. Sie waren nicht so flach wie Siri und hatten richtige Räder. «Wo willst du denn hin, kleiner Kerl?» Pinocchio schaute hoch und blickte in ein Gesicht mit einem riesigem Zwirbelschnauz. «Dich könnte ich gut gebrauchen in meinem Puppentheater.» «Ich muss zur Schule», antwortete Pinocchio. «Willst du dort deine Zeit vergeuden? Bei mir kannst du viel Geld verdienen!» Das ließ sich Pinocchio nicht zweimal sagen. Mit dem Geld würde er Geppetto einen neuen Mantel kaufen und frische Brötchen und Marmelade! «Also was jetzt?» Pinocchio hörte ein Surren in seiner Tasche. Jetzt hatte er keine Zeit für Siri. Im Puppentheater wurde er freudig begrüßt. Die  Puppen nahmen ihn in die Mitte und tanzten wild um ihn herum. «Los auf die Bühne», befahl der Mann. «Das Publikum wartet.» 

 

Als Pinocchio wieder auf der Straße stand, fühlte er sich betrogen. Von Geld auf einem Konto hatte der Mann gesprochen und ihm eine Karte und einen Zettel in die Hand gedrückt. Da standen Buchstaben und eine Nummer drauf. Wenn er doch nur lesen könnte. Vielleicht kann Siri helfen. Für etwas musste sie doch gut sein. Siri wusste Bescheid. So stand Pinocchio kurze Zeit später an einem Bankomaten und schob die Karte in die Öffnung. Jetzt noch die Zahlen eintippen. Das war gar nicht so einfach mit seinen klobigen Holzfingern. «Kann ich dir helfen?» Ein Mädchen stand neben ihm. Sie schien sich auszukennen, nahm ihm den Zettel aus der Hand und tippte die Nummer ein. Es dauerte einen Moment, da öffnete sich wie von Zauberhand ein Fach und Geldscheine erschienen. Pinocchio traute seinen Augen nicht. Doch ehe er sich versah, griff das Mädchen nach den Scheinen und rannte davon. «Halt, halt!» schrie Pinocchio! «Das ist mein Geld!» Er rannte dem Mädchen hinterher, durch das Gewühl der Straße, durch den Park und bis zum Strand. Hier wimmelte es von Menschen. Pinocchio konnte das Mädchen nicht mehr erblicken. Erschöpft ließ er sich in den Sand fallen und schaute dem Treiben zu. 

 

Mehrere Männer versuchten ein riesiges Schlauchboot an Land zu ziehen. Auf dem Boot befanden sich Menschen mit schwarzen Gesichtern und orangen Westen. Die Männer schrien einander Worte zu. Der Wind peitschte die Wellen. Pinocchio konnte nichts verstehen. Plötzlich entdeckte er Geppetto. Er half einer Frau mit einem Kind aus dem Boot. Wie von der Tarantel gestochen sprang Pinocchio auf und rief: «Papa!»  Geppetto hörte ihn nicht. Pinocchio rannte auf ihn zu und zerrte an seinem Hosenbein. Da endlich bemerkte ihn Geppetto. Seine Augen leuchteten. «Wo kommst du denn her?» «Von der Schule», log er. Die Nase wuchs. Geppetto zwinkerte mit dem linken Auge. «Man hat mich zum Zivildienst verdonnert», sagte er. «Pack mal an, hier gibt es viel zu tun! Decken holen, Getränke verteilen. Du kannst dich nützlich machen.» Vor Freude sprang Pinocchio hoch in die Luft. Das hatte er im Puppentheater gelernt. 

 

 

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